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    Cronache Tedesche: Deutsche Comics, wie geht es euch?

    Welche sind die Trends und kritischen Fragen im zeitgenössischen deutschen Comic? Darüber haben wir mit einigen Kritikern aus der Branche gesprochen.

    Seit ich nach Deutschland gezogen bin und diese Kolumne begonnen habe, habe ich versucht, durch Rezensionen und Interviews, einen möglichst breiten und vielfältigen Überblick über deutsche Comics zu geben. Gleichzeitig bin ich im Zuge meiner Recherchen mit Potenzialen und Kritiken konfrontiert worden, die viele Fragen zum Zustand der deutschen Comicbranche aufgeworfen haben, wie zum Beispiel: Wie gut tut die Manga-Explosion den deutschen Autoren? Sind pädagogische Biografien oder Literaturadaptionen wirklich die einzigen Genres, auf die man sich konzentrieren muss, um Anerkennung zu bekommen? Wie wichtig sind autobiografische Graphic Novels auf dem Markt? Und welchen Stellenwert haben Hochschulen in der Ausbildung neuer Comiczeichner und Cartoonisten?

    Da ich mich nicht nur auf einfache, partielle und subjektive Eindrücke aus meiner eigenen Erfahrung verlassen konnte, die auf Besuchen in Buchhandlungen, Comicläden und auf einigen Messen beruhten, beschloss ich, einige Journalisten, Kritiker und Rezensenten, die sich in deutschen Zeitungen und Websites mit Comics befassen, zu befragen, um zumindest mehr Elemente zum Nachdenken zu haben. Diese Interviews gaben Anlass zu einigen interessanten Überlegungen und es kamen unterschiedliche Meinungen zum Vorschein, die es zumindest erlaubten, eine Diskussion über den Zustand der Comics in Deutschland zu beginnen.

    Was ist in den letzten Jahren in Comics passiert: Neuigkeiten im deutschen Comic

    MalcolmmaxWir beginnen unsere Untersuchung mit einer einfachen Frage nach den Neuigkeiten und großen Veränderungen in den letzten Jahren, in denen die Zahl der Veröffentlichungen, auch von deutschen Autoren, erheblich zugenommen hat.

    In den letzten zwanzig Jahren haben sowohl die Qualität als auch die Quantität der Veröffentlichungen deutlich zugenommen“ – sagt Lars von Törne, Journalist beim Tagesspiegel, einer progressiven Berliner Tageszeitung, die dem Comic viel Platz einräumt – „Die Rahmenbedingungen haben sich deutlich verbessert: Es gibt mehr Verlage, die deutsche Comics veröffentlichen. Es gibt mehr Aufmerksamkeit in den Medien und auf dem Buchmarkt. Es gibt mehr Comicförderprogramme. Es gibt mehr Hochschul-Studiengänge, bei denen Comics eine Rolle spielen. Es gibt mehr Ausstellungen und Festivals, in denen Comics teilweise mit öffentlichen Fördergeldern ein gutes Forum haben. Es gibt ein wachsendes Publikum. Und es gibt aktive Interessenvertretungen wie den Deutschen Comicverein oder zuletzt die neu gegründete Comicgewerkschaft, die dabei helfen, mehr für das öffentliche Ansehen von Comics und ihren Macherinnen und Machern zu tun.

    Andreas Platthaus, langjähriger Journalist bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der seit vielen Jahren über Comics berichtet, stimmt dem zu und gibt auch eine internationale Perspektive: „Sie verkaufen sich besser (auch ins Ausland), und sie werden hierzulande zahlreicher verlegt. Die größte Innovation war die Etablierung der Comic-Ausbildung in den Illustrationsklassen der deutschen Hochschulen. Dort lehren einige der besten deutschsprachigen Künstler:Innen, und daraus sind zahlreiche Debütanten hervorgegangen, die sich etablieren konnten.

    Ich finde, die Szene ist weiblicher, aber überhaupt diverser geworden, schon seit vielen Jahren.“ – ergänzt Barbara Buchholz, freie Journalistin  und wie die anderen Befragten Mitglied der Jury für die Comic-Bestenliste, vierteljährlich präsentiert von buchMarkt, Comic.de, rbbKultur Radio und Tagesspiegel  – „Ich denke auch, dass die Zahl der Publikationen für Jugendliche und Kindern zugenommen hat, nachdem man eine Zeit lang vor allem Comics für Erwachsene machen wollte.

    Alex Jakubowski, ARD-Journalist, Fachautor für Comiczeitschriften, sowie Blogger (https:comic-denkblase.de), findet es dagegen schwierig, einen Trend auszumachen: „Ich denke, dass deutsche Comiczeichner genauso heterogen sind wie Künstler: Innen anderer Nationalitäten. Wenn ich mir die Comics anschaue, die in den letzten Jahren erschienen sind, sehe ich eine große Vielfalt. Sie reicht von autobiografischen Graphic Novels wie Bei mir zuhause von Paulina Stulin bis hin zu Geschichten, die auf realen Ereignissen beruhen, wie Stockhausen von Thomas von Steinaecker. Es gibt auch historische Werke, wie Freistaat Flaschenhals von Bernd Kissel und Marco Wirsch, und auch deutsche Serien wie Malcolm Max von Ingo Römling und Peter Mennigen. Und besonders gefreut hat mich, dass mittlerweile auch deutsche Zeichner französische Klassiker interpretieren dürfen. Flix mit Spirou in Berlin, oder Mawil und Ralf König mit ihren Lucky Luke-Variationen. Das war für diese Zeichner sicherlich ein Ritterschlag.

    Christian Gasser, Dozent an der Hochschule Luzern – Design Film Kunst sowie Comic-Kritiker und Journalist, der für verschiedene Zeitungen, Radiosender und Portale tätig ist, setzt schließlich etwas weiter hinten an und fasst das bisher Gesagte zusammen: „Besonders innovativ waren die deutschen Comics in den 1990er Jahren. Die Generation um Anke Feuchtenberger, Anna Sommer, Atak, Martin Tom Dieck und anderen brachte etwas völlig Neues in den Comic, eine experimentelle und poetische Sprache, die mit vielen Klischees und Stereotypen brach. Diese Autorengruppe wurde weltweit rezipiert und übte einen großen Einfluss aus, nicht zuletzt in Frankreich und den USA.
    Spirou Und Fantasio Spezial Spirou In BerlinSeit etwa dem Jahr 2000 zeichnet sich der deutsche Comic weniger durch Innovation aus als durch eine Normalisierung und auch eine Professionalisierung, was ich grundsätzlich als sehr positiv ansehe: Die deutschsprachigen Comic-Autoren stehen in regem Austausch mit der internationalen Szene und nehmen internationale Inhalte und visuelle Trends auf, denen sie ihre eigene Note geben. Die Qualität ihrer Arbeiten ist so hoch, dass immer mehr deutschsprachige Comiczeichner auch im Ausland publizieren.
    Das ist meines Erachtens ein generelles Phänomen: nationale Traditionen haben an Eigenheit verloren, der Comic/die Graphic Novel ist zu einer internationalen Sprache geworden und die Szenen nähern sich auch thematisch an.
    In der deutschen Graphic-Novel-Szene spielt aber natürlich die Aufarbeitung der deutschen Geschichte eine wichtige Rolle: das Dritte Reich und der Holocaust (z.B. Barbara Yelins „Irmina“ und „Emmy Arbel“), die DDR (z.B. Simon Schwartz‚ „Drüben“ und Mawils „Kinderland“), die Bonner Republik und der Deutsche Herbst (z.B. Jennifer Daniels „Das Gutachten“).“ Abschließend stimmt auch er Buchholz in einem Punkt zu, der bei der Betrachtung des deutschen Comics auffällt: „Was die deutschsprachige Comicszene im Vergleich etwa zur französischen oder amerikanischen Comicszene auszeichnet, ist die hohe Dichte an Comiczeichnerinnen. Im deutschsprachigen Raum sind Comics sehr feminisiert, was sich natürlich auch in den Inhalten niederschlägt. Das ist eine echte Bereicherung.

    Deutsche Comics: Künstler:Innen von gestern, Künstler:Innen von heute

    In diesem Zusammenhang ist es wichtig, einige interessante Namen herauszugreifen, um einen ersten Überblick über den zeitgenössischen deutschen Comic zu geben, eine Liste, die zwar nicht vollständig ist, aber einen Eindruck von der Anzahl und der Heterogenität der Comiczeichner:Innen und -künstler:Innen in diesem Land vermittelt.

    IrminaZu den eben Genannten würde ich noch Isabell Kreitz, Anke Feuchtenberger und Barbara Yelin hinzufügen. Und dann zum Beispiel Jan Bauer mit seinen persönlichen Erfahrungen oder Adrian Pourviseh, der das Thema Flüchtlinge in Comicform bringt: zwei neue und sehr interessante Namen.“ – zitiert Jakubowski. Und Buchholz ergänzt: „Franz Suess (ein österreichischer Künstler), Noëlle Kröger, Birgt Weyhe, Anna Haifisch, Max Baitinger, das Zeichnerkollektiv Spring, sind die ersten, die mir einfallen. Aber ich könnte noch viele weitere nennen, und es würde nicht ausreichen.

    Das gilt auch für Platthaus, der Buchholz‘ Aufzählung zustimmt: „Wenn man die letzten zwanzig Jahre betrachtet, sind es einfach zu viele Namen. Birgit Weyhe hat mich in den letzten anderthalb Jahrzehnten sehr beeindruckt. Barbara Yelin muss man erwähnen, ebenso Anna Haifisch und Ulli Lust (obwohl sie Österreicherin ist). Und damit auch ein Mann vorkommt: Max Baitinger.

    In die gleiche Kerbe schlägt auch Gasser: „Die Liste ist endlos. Die deutsche Szene ist voll von großartigen Künstler:Innen und vielversprechenden Talenten, und wie lang die Liste auch sein mag, ich bin sicher, dass ich viele Namen vergesse, deren Arbeit ich sehr schätze. Neben den bereits genannten kann ich sagen: Mawil, Reinhard Kleist, Lina Ehrentraut, Nicolas Mahler, Nando von Arb, Anja Wicki, Sascha Hommer, Katharina Klingler, Josephine Mark, Tanja Esch, Jennifer Daniel, Markus Färber, Andreas Kiener, Mikael Ross, Franz Süess, David Füleki, Paulina Stulin, Dominik Wendland, Jan Bachmann, Nadine Redlich und viele andere.“

    Wenn ich hier alle Namen aufzählen würde, die ich für wichtig halte, würde ich mehrere Seiten füllen.“ – So beginnt von Toerne, und tatsächlich ist das, was wir hier berichten, eine gekürzte und bearbeitete Antwort. Neben den von Buchholz und Jakubowski genannten Namen fügt er noch einige neue und interessante hinzu: „Einige der Preisträger der letztjährigen Comic-Stipendien sind ganz neu, in dem Sinne, dass sie noch nicht veröffentlicht wurden, und ihre Arbeiten haben mir gefallen, auch wenn man im Moment nur Ausschnitte davon sehen kann, weil sie oft gerade erst fertig geworden sind. So zum Beispiel Constantin Satüpo, dessen bei einem vom Berliner Senat geförderten Aufenthalt in Paris entstandenes Buch “Am Hügel” in Kürze beim Avant-Verlag erscheinen. Auf der Grundlage eigener Recherchen erzählt er darin vom Alltag in der von Obdachlosen und Drogensüchtigen bewohnten Zeltstadt „Crack Hill“. Oder Everett S. Glenn, der aus den USA stammt und in Berlin lebt. In seinem derzeit noch in Arbeit befindlichen Comic-Projekt „The Nix: A Sort Of Memoir“ ermuntert ein zurückgezogen lebender Künstler einen Berufsverbrecher dazu, sich seinen schmerzhaften Erinnerungen zu stellen. Oder auch die Zeichnerin Julia Beutling mit ihrem Webcomic “Being Monsters”, der eine Mischung aus Erwachsenen-Märchen, Drama und Detektivgeschichte ist. Nicht ganz mein persönlicher Geschmack, aber handwerklich gut gemacht ist auch das kürzlich beim Splitter-Verlag veröffentlichte Album „Ein verdammter Handschlag“ von Matze Ross und Jan Bintakies. In der rasanten und mit deftigem Humor angereicherten Action-Story geht es um einen schrägen Pakt mit dem Teufel. Die Zusammenarbeit zwischen der Autorin Anna Rakhmanko und dem Zeichner Mikkel Sommer ist nicht mehr ganz neu, aber immer noch gut. In ihrem neuesten Buch „Hinterhof“ geben sie mit Hilfe der Berliner Domina Dasa Hink einen tiefen Einblick in eine mir bisher unbekannte Welt, nämlich die des BSDM.
    ArtistannahaifischAuch das Buch ‚Der Zeitraum‘ von Lisa Frühbeis, die am Beispiel einer alleinerziehenden Künstlerin den Konflikt zwischen persönlicher Entfaltung, familiären Ansprüchen und wirtschaftlichen Zwängen auslotet, hat mir kürzlich gut gefallen. Anna Haifisch ist eine Künstlerin, die ich seit Jahren mit Begeisterung verfolge. Unter ihren Comics war 2021 “Residenz Fahrenbühl” ein Jahres-Favorit von mir, aber auch ihre Illustrationsarbeiten mag ich sehr. Ihr wird ab Juni 2024 im Hamburger Kunstgewerbemuseum eine Einzelausstellung gewidmet, auf die ich mich schon sehr freue. An Anna Haifischs Arbeiten mag ich neben ihrem unverkennbaren Zeichenstil auch den trockenen Humor. Ebenfalls sehr gut und witzig finde ich die Arbeiten von Josephine Mark. Vor allem ihre für Leserinnen und Leser jeden Alters geeignete Roadstory “Trip mit Tropf” schafft mit zwei tierischen Hauptfiguren das Kunststück, eine Geschichte von einer Krebserkrankung zu erzählen, die trotz des schweren Themas großen Spaß macht.  Ebenfalls sehr unterhaltsam ist Aisha Franz’ aktuelles Werk “Work-Life-Balance” über die Abgründe der vermeintlich schönen neuen Arbeitswelt.
    Einen guten Überblick über die unterschiedlichen Stilformen mehrerer aktuell relevanter Zeichnerinnen und Zeichner vor allem aus der Comic-Metropole Berlin gibt die Anthologie „Gerne würdest du allen so viel sagen“, in der 16 Comicschaffende die Langzeitfolgen der Umbrüche des 20. Jahrhunderts nachzeichnen, darunter Katia Fouquet, deren Stil ich besonders mag, oder Bianca Schaalburg, die mit der “Der Duft der Kiefern” 2021 ein herausragendes Werk zu ihrer Familiengeschichte veröffentlicht hat.
    Auch die Bücher von Mikael Ross finde ich immer wieder interessant, und ich freue mich jetzt schon auf sein neues Buch ‚Der verkehrte Himmel‘. Wer Manga mag, dem würde ich aus deutscher Produktion unter anderem die Manga-Reihe „Kiela und das letzte Geleit“ der Kölner Zeichnerin Sozan Coskun empfehlen, deren erster Band kürzlich erschienen ist. Die Reihe handelt vom gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Tod und verbindet einen an japanischen Vorbildern geschulten Stil mit einer eigenen, in Deutschland spielenden Geschichte von einer jungen Frau, die Kontakt zu ihrem toten Bruder aufnehmen will.

    Nick Knatterton 2Um zeitgenössische Comics besser zu verstehen, ist es aber auch wichtig, die Vergangenheit zu erforschen und einige wichtige Zeichner wiederzuentdecken, was in Deutschland aufgrund der begrenzten Sachbuch- und Geschichtsforschung, der Schwierigkeit, historische Werke und alte Comics zu finden, und auch der begrenzten Produktion vor der Jahrtausendwende nicht ganz einfach ist, was aber auch positive Seiten hat, wie Platthaus betont: „Vor dem Jahr 2000 war das deutsche Comicschaffen relativ rar, und was gut war, ist bekannt und muss nicht wiederentdeckt werden. Es ist aber schön, dass der Zeichner Hans Hillmann mit seinem Buch ‚Fliegenpapier‘ international Aufmerksamkeit erregt. Aber eine Entdeckung in Deutschland ist das nicht.“ Was die Vergangenheit des deutschen Comics angeht, sieht Gasser das ähnlich: „Die Geschichte des deutschen Comics ist im Vergleich zum französischen oder italienischen Comic nicht sehr reichhaltig, daher glaube ich nicht, dass es viele Autoren und Zeichner aus der Zeit vor 1990 gibt, die wiederentdeckt werden müssen. Ralf König ist immer noch aktiv, ebenso Matthias Schultheiss, um nur zwei zu nennen, und auch Manfred Schmidts ‚Nick Knatterton‘ wird alle paar Jahre wiederveröffentlicht.“

    Beim Stichwort „Wiederentdeckung“ muss ich an eine bereits vor 20 Jahren sehr wichtige Künstlerin denken, deren Werk aktuell aus gutem Grund wieder viel Aufmerksamkeit bekommt, nämlich Anke Feuchtenberger.” – sagt von Törne – “Ihre autobiografisch inspirierte Comic-Erzählung  „Genossin Kuckuck“ gehört für mich zu den besten Comics des vergangenen Jahres, wenn nicht gar des vergangenen Jahrzehnts. Im Moment arbeitet sie unter anderem an einer Fortsetzung ihres grafischen Essays “Der Spalt”, das 2020 für mich einer der Comics des Jahres war. Und ihr zusammen mit der Schriftstellerin Katrin de Vries ab Mitte der 1990er Jahre veröffentlichtes mehrteiliges Frühwerk “Die Hure H” ist gerade bei Reprodukt als Gesamtausgabe wiederveröffentlicht worden. Immer wieder gut und ebenfalls seit Jahrzehnten dabei: Ralf König mit seinen fiktiven, aber vom eigenen Alltag inspirierten Humor-Strips um Konrad und Paul, dessen jüngste Sammlung der Kölner Zeichner als Buch unter dem Titel „Abba Hallo!“ veröffentlicht hat. Darin beschäftigt sich König unterhaltsam mit den Auswirkungen der Corona-Krise und dem Älterwerden seiner Protagonisten, deren Lebensgeschichte er seit 1990 fortschreibt.

    Jakubowski zitiert auch Ralf König, und stimmt auch Gasser zu: „Matthias Schultheiss, der zeitlose, auch in Frankreich und im angelsächsischen Raum, bekannte Geschichten wie Bells Theorem und Propellermen geschaffen hat.

    Große Klassiker, auf die Buchholz hinweist: „Erich Ohser alias e.o.plauen mit seinen ‚Vater und Sohn‘-Geschichten würde ich wiederentdecken, und Manfred Schmidt, dessen ‚Nick Knatterton‘ ich sehr mag.

    Deutsche Comics zwischen Manga und Buchhandel

    Wie in der gesamten westlichen Welt hat die Comicbranche in Deutschland zwei große Entwicklungen erlebt: die Explosion der Manga und die Ausbreitung der Comics in den Buchhandlungen (Phänomene, die in der Tat miteinander verbunden sind und in denen Manga oft alles verschlingen). Gibt es aus dieser Sicht einen Vorteil für deutsche Comics in Bezug auf die Sichtbarkeit oder gibt es einen weiteren Zerdrücken? Und gibt es einen Schub für Produkte wie „German Manga“? Wie man sich schon vorstellen kann, gehen die Positionen bei diesem Thema weit auseinander.

    Kiela Und Das Letzte Geleit 01 Taschenbuch Sozan Coskun„Ich glaube schon, dass auch andere Arten von Comics vom Boom der Manga profitieren können, einfach, indem das Interesse für Comics steigt – gerade auch bei jungen Leuten, die später vielleicht auch zu „Nicht-Manga“ greifen„. – so Buchholz. Jakubowski pflichtet dem bei: – „Zwei von drei in Deutschland verkauften Comics sind inzwischen Manga. Das ist ein großer Faktor für den Buchhandel geworden. Ich persönlich würde von erdrücken da nicht reden, ich sehe den Boom eher als Chance für andere Comics, auch für deutsche Manga: Ich denke da zum Beispiel an Christina Plaka aus Offenbach oder an Aljoscha Jelinek und die Zeichnerin Mareike Noske alias Blackii, die beim Deutschen Manga-Tag, bei dem die Verlage mit Freiexemplaren für ihr Programm werben, mit Children of Grimm dabei waren.

    Dem schließt sich auch Platthaus an, der diese wirtschaftliche und kommerzielle Perspektive ergänzt: „Manga bieten durch ihren Verkaufserfolg jungen Menschen die Chance, Interesse am Lesen zu entwickeln. Das überträgt sich nicht zwangsläufig auf die klassischen westlichen Comics, aber es passiert sehr viel. Und aus der Manga-Fanszene sind bereits einige Comic-Talente hervorgegangen: Olivia Vieweg oder Katja Klengel zum Beispiel. Im Bereich der Manga haben es deutsche Autoren schwer, die japanische Konkurrenz ist einfach zu stark. Dass der Buchhandel dem Manga viel Platz einräumt, geht aber nicht zu Lasten der Comics, die früher außerhalb des Fachhandels nicht zu finden waren. Durch den Manga-Boom haben sich etliche Geschäfte überhaupt auch erst an Comics gewagt.

    Die Kaenguru Comics 2 Du Wuerdest Es Eh Nicht Glauben Gebundene Ausgabe Marc Uwe Kling

    Auch Gasser sieht das Phänomen positiv: „Es ist ein Schritt nach vorne, dass Buchhandlungen Comics verkaufen. 1990 war das noch sehr selten. Es gab allenfalls ‚Asterix‘ und ‚Tim und Struppi‘. Dass heute fast alle Buchhandlungen Comics verkaufen, liegt zum Teil an den Mangas, aber natürlich auch an den Graphic Novels. Generell stehe ich dem Manga und seinem Erfolg positiv gegenüber, und ich sehe vor allem einen positiven Effekt: Manga hat die Comicbranche im deutschsprachigen Raum belebt; er hat neue Leser und vor allem Leserinnen, die vorher kein Interesse an Comics hatten, an Comics herangeführt; er hat das Verständnis für das Erzählen in Bildern erweitert und geschärft. Der Boom der Graphic Novel fand zeitgleich und parallel zum Manga-Boom statt. Es sieht also nicht so aus, als hätte der Manga den Comic/die Graphic Novel verdrängt. So werden heute mehr als je zuvor auch Comics und Graphic Novels publiziert, und nicht zuletzt auch mehr denn je Comics und Graphic Novels deutschprachiger Autor:innen. Das wäre ja nicht der Fall, hätte der Manga den Comicmarkt erdrückt.“

    Im Vergleich zu anderen hat von Törne eine pessimistischere Position: „Leider ist der Boom bei den meist aus Japan übertragenen Manga-Reihen in wirtschaftlicher Hinsicht ziemlich losgelöst vom Rest des deutschen Comicmarktes. Ich denke aber, dass die große Aufmerksamkeit für Manga und der große Platz, den der Buchhandel dem Bereich einräumt, auch deutschen Mangaka mehr Aufmerksamkeit verschaffen kann. So waren kürzlich auf dem zweiten „Manga-Tag“ zwei deutsche Produktionen vertreten: neben dem bereits erwähnten „Die Kinder von Grimm“ auch „Kiela und der letzte Geleitschutz“ von Sozan Coskun. Beide Werke kombinieren Elemente der japanischen Manga-Tradition mit deutschen Einflüssen, vor allem bei der Themenwahl, und kamen damit beim Publikum gut an, soweit ich das beobachten konnte.“ Dem fügt er eine Überlegung zu Comics im Buchhandel hinzu: „Der Nicht-Manga-Bereich in den Comic-Abteilungen der Buchhandlungen muss sich noch stärker etablieren. bei unter den Bestsellern neben Manga immer wieder auch Comics westlicher Machart sind – und manchmal auch von deutschen Zeichnerinnen und Zeichnern. So war Flix‘ Marsupilami-Adaption im vergangenen Jahr ein Bestseller, ebenso Ralf Königs aktuelles Werk und die deutsche Eigenproduktion “Die Känguru-Comics” von Marc-Uwe Kling und Bernd Kissel, die sich inhaltlich an Klings Radio-Comedyreihe anlehnen. Und sehr weit oben auf den Comic-Bestsellerlisten fanden sich zuletzt aus deutschen Ateliers auch der aktuelle Comic-Band der “Arazhul”-Reihe, der sich auf die erfolgreiche YouTube-Videoreihe gleichen Namens bezieht, der “Golemkönig”, ein Comic aus der Welt des YouTube-Stars Paluten, und “Die Abenteuer vom Rosenhof” der erfolgreichen YouTuberinnen Victoria und Sabrina.

    Biografien, Autobiografien, Literaturadaptionen: Geht dahin der Weg bei deutschen Comicverlagen?

    Noch zum Buchhandel und Comic-Verkauf, gibt es heute in der deutschen Branche eine explosionsartige Zunahme von Autobiografien und „Slice of Life“ zu beobachten, die mit der Verbreitung von Graphic Novels einhergehen. Aber noch stärker ist die Tendenz, viele Biografien und Literaturadaptionen zu produzieren, was den Eindruck erweckt, dass die Legitimation des Mediums durch seine pädagogische Funktion erfolgt. Diese beiden Arten von Werken scheinen alle anderen möglichen Genres zu verdrängen und die Möglichkeiten, die diese Sprache bietet, einzuschränken.

    Die Gereon Rath Comics 1 Der Nasse Fisch 28erweiterte Neuausgabe 29Ja, hier gibt es eine Häufung, die ich auch nicht besonders gut finde“ – stimmt von Törne zu: „Ich denke, das ist leider eine Spätfolge des speziellen Umgangs mit der Kunstform Comic in Deutschland. Viel zu lange war der Comic als Kinderkram und Unterhaltungsform für Analphabeten verpönt. Um diese Wahrnehmung zu ändern, haben sich Verlage, Comicschaffende, Medien und andere Akteure lange vor allem auf Comics fokussiert, die dieses alte Vorurteil entkräften helfen. Inzwischen ist der Comic als Kunstform aber meines Erachtens in Deutschland soweit etabliert, dass wir uns eine größere Vielfalt an Genres und Inhalten gönnen sollten. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert und dass Comics mit ganz anderen Themen, anderen Stilen, anderen Formaten stärker präsent sind.

    Der Fokus liegt oft stark auf dem Wort, aber beim Comic ist ja gerade die Verschränkung von Wort und Bild ausschlaggebend“ – sagt Buchholz fügt hinzu: „Ich finde es auch schade, wenn der Wert eines Comics danach bemessen wird, wie „pädagogisch wertvoll“ oder wie nah an der „Hochkultur“ er ist. Wie bei anderer Literatur auch, gibt es meiner Meinung nach gute und schlechte in allen Genres.

    Jakubowski ergänzt: „Ich sehe da nichts grundsätzlich Falsches dran. Wenn ich mir zum Beispiel die Literaturadaption von „Der nasse Fisch“ Arne Jyschs Comic nach Volker Kutschers Babylon Berlin-Büchern, oder Janne Marie Dauers „Auerhaus“, das einen Roman von Bov Bjerg adaptiert, anschaue,dann sehe ich dort gute Unterhaltung, die die ebenfalls guten Vorlagen auf eine andere Ebene heben. Das Medium hatte immer damit zu kämpfen, dass Comics in Deutschland nur dann anerkannt werden, wenn sie pädagogisch sind. Aber ich denke, dass es mittlerweile genügend Beispiele gibt für Comics, die unterhalten wollen, egal auf welcher Ebene. Wenn sie dann auch pädagogisch sind – auch gut. Aber sie müssen es nicht zwingend sein. Mit Nic Klein haben wir auch einen Zeichner, der bei Marvel im Superhelden-Genre arbeitet. Oder Trachtman, der bayerische Superheld von Chris Kloiber: da geht es nicht unbedingt um Pädagogik.

    Auch Gasser ist mit dieser Beobachtung nicht einverstanden: „Was Literaturadaptionen angeht, habe ich nicht das Gefühl, dass die deutschsprachigen Graphic-Novel-Verlage besonders in diese Richtung drängen, es gibt sogar noch weniger als auf dem französischen Comic-Markt. Sicher, der Suhrkamp Verlag zum Beispiel lebt vom literarischen Kanon, und ein Verlag wie Kneesebeck hat sich auf Literaturadaptionen spezialisiert. Auch Carlsen veröffentlicht gerne Adaptionen von Literaturklassikern, aber sie sind nicht so zahlreich, dass sie das Bild des Verlags prägen. In anderen Verlagen sind Literaturadaptionen eher die Ausnahme. Biografien werden zwar viele veröffentlicht, aber das ist letztlich ein internationaler Trend und kein spezifisch deutsches Phänomen. Allerdings halte ich Ihre Aussage, dass es keine Bemühungen gibt, andere Arten von Geschichten zu produzieren, für etwas übertrieben. Reprodukt, avant-verlag, Jaja verlag, Rotopol, Edition Moderne, Carlsen, aber auch Cross Cult und Splitter, wenn sie sich im Bereich der Graphic Novels bewegen, veröffentlichen sehr unterschiedliche Dinge. Was im deutschsprachigen Raum vielleicht anders ist als in anderen Ländern, sind die Medien und die Art und Weise, wie sie Comics betrachten. Seit etwa zwanzig Jahren gibt es ein Interesse, und das ist ein sehr positiver Aspekt. Aber, wie ich als unabhängiger Kritiker mehrfach festgestellt habe, sind ide tatsächlich ausgesprochen interessiert an „gesellschaftlich relevanten“ Stoffen. Deshalb erhalten solche Graphic Novels (Non Fiction, Reportagen, Sachcomics, Comic-Essays etc.) eine deutlich größere Aufmerksamkeit als rein fiktionale Geschichten. Das ist auch einer der Gründe, warum auf den Seiten deutschsprachiger Zeitungen fast nur von Graphic Novels die Rede ist und fast nie von Mainstream-Serienmaterial. Das deutschsprachige Feuilleton mischt sich gerne in gesellschaftliche Debatten ein“.

    Der Trend ist alt, jeweils etwa zehn Jahre, und er war insofern wichtig, als Verlage, die vorher keine Comics gemacht haben, plötzlich welche in ihr Programm aufgenommen haben, denn mit Literaturadaptionen und Biographien konnten sie etwas anfangen. Es gibt nur wenige Autoren, die aber dabei stehenbleiben: siehe Nicolas Mahler oder die genannten Yelin und Weyhe, die alle jeweils auch mit anderen Erzählgegenständen aktiv sind. Im anspruchsvollen Sektor verkaufen sich Biographien und Adaptionen aber besser, also werden sie weiter wichtig sein. Mehr Geld für Autoren ist aber eine gute Sache.“, schließt Platthaus mit einem Hauch von Sachlichkeit.

    Eine Verlagsbranche im Wandel

    Das Jahr 2023 brachte einige Turbulenzen in die Welt der deutschen Comicverlage: die Schließung des Zwerchfell Verlags, eines der dynamischsten Verlage der letzten zehn Jahre; das Crowdfunding von Reprodukt und Edition Moderne, um ihre Produktion mit mehr Mitteln zu unterstützen, insbesondere nach den Pandemiejahren und der Papierkrise; das Sabbatjahr des Jaja Verlags und seines Verlegers. Ein Zeichen der Sorge um den Markt oder nur eine natürliche Veränderung? Einige unserer Gesprächspartner sehen diese Ereignisse eher als Chance denn als Zeichen einer Krise.

    GenossinkuckkuckSoweit ich weiß, haben Reprodukt und Edition Moderne ihre Crowdfunding-Ziele mehr als erreicht, was zeigt, dass ihre Arbeit geschätzt wird. Auch der unabhängige Rotopol Verlag in Kassel ist noch aktiv und veröffentlicht schöne Comics von deutschen Künstler:Innen. Der 2019 gegründete Kibitz Verlag hat meines Wissens mit seinen Kindercomics erfolgreich eine Nische besetzt, und das schöne Indie-Kindercomic-Magazin ‚Polle‘ wird weiterhin regelmäßig produziert .“ – sagt Buchholz. Platthaus fügt hinzu, dass „Verlage sind nicht auf Ewigkeit ausgerichtet, Pleiten und Krisen leider normal. Das ist in allen Buchgenres so. Aber ich finde, der Erfolg von Crowdfunding zeigt die Verbundenheit des Comicpublikums mit diesen Verlagen. Außerdem gibt es nicht nur neue Verlage, die sich besonderen Dingen widmen, wie Kiebitz und Dante, sondern das Spektrum der Comicverlage wird immer breiter, zuletzt C.H. Beck oder Spector Books, um zwei große Namen in anderen Verlagsbereichen zu nennen. Ich bin also überhaupt nicht besorgt.

    Jakubowski ist eher beunruhigt: „Die Pandemie hat auch gezeigt, dass Einzelhändler und Verlage auf ihre Kunden zählen konnten, denn viele Geschäfte haben dank Solidaritätsaktionen (Verkauf von Gutscheinen, Lieferungen usw.) mehr als überlebt. Doch dann kam der Krieg in der Ukraine, der die Rahmenbedingungen wieder veränderte. Und das zeigt leider, dass der Kreis der Comickäufer in Deutschland nicht unendlich ist. Gerade die kleinen Verlage, die weniger bekannte Autoren verlegen und liebevoll produzierte und damit teurere Comics anbieten, sind oft an der Grenze ihrer wirtschaftlichen Kapazitätsgrenze. Wenn sie keinen Longseller im Programm haben, mit dem sie andere Publikationen finanzieren können, wird es schwierig: Auch preislich gibt es Grenzen. Und die Zahl der Käufer, die bereit sind, 30 Euro oder mehr für eine Graphic Novel zu zahlen, ist überschaubar.“ 

    TrachtmanIn die gleiche Kerbe schlägt von Törne, der eine Prognose wagt: „Viele in Deutschland wichtige Comicverlage haben leider nach wie vor ein zu schwaches wirtschaftliches Fundament. Die Pandemie hat das nochmal besonders vor Augen geführt. Dazu kommt, dass die Arbeit bei vielen kleineren bis mittleren Verlagen auf wenigen Schultern ruht. Und diese Menschen wollen irgendwann vielleicht auch mal wieder mehr Zeit für ein Leben jenseits des Comic-Geschäfts haben oder erreichen in den kommenden Jahren das Rentenalter. Ich befürchte, da stehen uns noch einige weitere Erschütterungen bevor.

    Auch ich beobachte diese Entwicklung mit Sorge„, schließt sich Gasser an: „Das Problem im deutschsprachigen Raum ist und bleibt der Markt. Er ist schlicht zu klein, m es deutschen Verlagen, aber auch Künstler:Innen zu ermöglichen, korrekt und stabil von ihrer Arbeit zu leben. Nehmen wir Aisha Franz: In Frankreich wäre sie zweifellos so erfolgreich, dass sie sich ganz auf Comics konzentrieren könnte. Sie müsste weder unterrichten noch Aufträge annehmen. So könnte sie jedes Jahr eine neue Graphic Novel veröffentlichen, sie würde mehr Erfahrung sammeln, mehr künstlerisches Selbstvertrauen gewinnen, sich anders entwickeln können, usw. Als deutsche Zeichnerin (mit Familie) ist es ihr jedoch unmöglich, von Comics zu leben, was die Comicproduktion im deutschsprachigen Raum zu einem prekären Unterfangen macht.“ Aber nicht alles ist schlecht: „Andererseits gibt es die Edition Moderne seit über vierzig Jahren, Reprodukt seit über dreißig, Avant und Cross Cult seit zwanzig und mehr Jahren sowie Rotopol und Splitter seit fast zwanzig Jahren: Das ist ein Beweis dafür, dass sie wirtschaftlich gesund sind und dass es möglich ist, diese professionellen Strukturen über Jahrzehnte zu erhalten und weiterzuentwickeln. Es scheint also keine strukturellen Probleme zu geben. Das Hauptproblem für die Verleger war in den letzten Jahren der Papierpreis. Aber auch die großen französischen Verlage haben gelitten. Sogar La Revue Dessinée hat sich dank Crowdfunding gerettet; selbst ein Verlag wie Casterman hat sich Strategien überlegt, um mit den Papierpreisen umzugehen… Ich denke daher, dass die globalen wirtschaftlichen Entwicklungen zu diesen Engpässen geführt haben und nicht die spezifischen Eigenschaften des deutschen Comicmarktes, auch wenn seine geringe Größe die Situation für seine Verleger besonders prekär macht.

    Comics werden in Deutschland gelehrt

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    Wie ich bereits in einigen meiner Chroniken von den großen deutschen Festivals erwähnt habe, ist einer der auffälligsten Aspekte die Anwesenheit so vieler Universitäten und Kunsthochschulen, die mit ihren Studenten in Comic-Kursen vertreten sind: ein wichtiges Zeichen für langfristige Planung und Investitionen in die Entwicklung des Comics in Deutschland. Gleichzeitig könnte man fragen, ob sich diese Ausbildung auch an den neuen, vom Markt geforderten Trends orientiert. In diesen Fragen gaben unsere Interviewpartner sehr ähnliche Antworten und erkannten eine Realität an, die es ihnen nicht erlaubt, vom Comic zu leben, die aber beginnt, andere Möglichkeiten zu bieten.

    Der Vorteil ist,  dass nirgendwo an den Hochschulen so viel für den Markt ausgebildet wie in Deutschland wird. Und mehr Geld durch Stipendien ist generell zu begrüßen. Aber leider reichen diese nicht aus, um die Anzahl der Menschen zu unterstützen. Hinzu kommt, dass außerhalb der Hochschulen nicht viele neue Werke entstehen und Autoren mit akademischer Ausbildung Geschichten erzählen, die manchmal weit entfernt sind von dem, was den Markt interessieren könnte.“ – so Platthaus. Auch von Törne: „Die Universitäten bilden Autoren aus, die exzellente Arbeit leisten, aber anders als in anderen Ländern wie Japan  sind diese Menschen oft nicht in einer Richtung ausgebildet, die mit der Nachfrage am Markt korrespondiert und können nur in seltenen Fällen von ihrer Arbeit leben. Ich würde mir wünschen, dass die Ausbildung des Comic-Nachwuchses in Deutschland neben der Förderung individueller Ausdrucksformen und handwerklicher Kenntnisse auch etwas mehr ins Visier nimmt, wie man von seiner Kunst leben kann.“ Diesen Überlegungen fügt Gasser weitere Erkenntnisse hinzu: „Man muss bedenken, dass nicht jeder, der ein Studium oder einen Master mit einer Graphic Novel oder einem Manga abschließt, später Comics zeichnen und veröffentlichen wird, aber er hat etwas Wichtiges gelernt, das ihm bei seiner Arbeit als Illustrator hilft, zum Beispiel, wie man mit Bildern Geschichten erzählt. Auch dies ist heute eine wesentliche Fähigkeit für Illustratoren, die man am besten durch Comics lernt. Außerdem arbeiten die Künstler:Innen nicht nur für den deutschen Markt. Mehr als die Hälfte der Künstler:Innen, die ich oben aufgeführt habe, veröffentlichen ihre Bücher in mindestens einer anderen Sprache. Das sollte nicht unterschätzt werden.

    Alle sprechen von Subventionen des Staates, wie Jakubowski an einem konkreten Beispiel aufzeigt: „Die meisten Leute, die Comics machen, leben eigentlich von Illustrationen oder Aufträgen von Agenturen oder haben ganz andere Jobs, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie machen also ’nur‘ nebenbei Comics. Dass es jetzt einige Subventionen gibt, ist sehr zu begrüßen. Ich denke zum Beispiel an Vatermilch von Uli Oesterle: gäbe es keine Förderung, würden wir wahrscheinlich immer noch auf den zweiten Band dieses tollen Comics warten.

    Neben dem wirtschaftlichen Aspekt ist die Förderung aber auch aus einem anderen Grund wichtig, wie Buchholz betont: „Die Ausbildungsprogramme an den Hochschulen schaffen auch die Basis dafür, Geld mit Illustrationen, Graphic Recording oder anderen Auftragsarbeiten zu verdienen. Sich genügend Freiraum zu erhalten, um eigene Comic-Projekte zu verfolgen, ist sicher eine Herausforderung. In diesem Zusammenhang ist es gut, dass es Stipendien und Preisgelder gibt, die es gestatten, sich auf diese Projekte zu konzentrieren.

    Dieser Trend hat in der Schweiz viel früher als in Deutschland begonnen, in den 1990er Jahren, und er ist nicht zu Lasten der Comicszene gegangen„, so Gasser abschließend. „Warum sollte eine unbestrittene Praxis in der bildenden Kunst oder in der Literatur im Bereich der Comics falsch sein oder die falschen Anreize setzen? Ich sehe das nicht so. In der Schweiz werden auch unabhängige Verlage mit sogenannten ‚Strukturbeiträgen‘ über mehrere Jahre hinweg unterstützt, auch das ist wichtig.“

    Ein Blick in die Zukunft

    Zum Abschluss dieser Analyse haben wir versucht, einen Blick in die Zukunft des deutschen Comics zu werfen, die für alle, trotz der obengenannten Schwierigkeiten, voller Möglichkeiten zu sein scheint.

    Ich hoffe, der gute Ausstoß an hochwertigen Arbeiten setzt sich fort – und wird irgendwann auch durch eine stabilere wirtschaftliche Lage unterfüttert. Hier sehe ich derzeit einige Modelle, die sich weiter etablieren dürften: Zum einen die Comicförderung durch staatlich finanzierte oder private Stipendien, mit deren Hilfe weiterhin innovative, anspruchsvolle, aber vielleicht nicht immer massentaugliche Comics entstehen. Daneben ein Zuwachs bei Crowdfunding-Modellen, mit denen Comicschaffende oder Verlage Veröffentlichungen über die Unterstützung aus der Fan-Community finanzieren. Und dann die anderen Comics, die Verlage auf eigene Kosten produzieren und bei denen sie darauf setzen, das sich das finanziell rechnet. Diese letzte Gruppe wird meines Erachtens etwas schrumpfen und sich auf weniger Titel konzentrieren, um das wirtschaftliche Risiko zu mindern.„, so von Törnes Vorhersage.

    Sowohl von Törne als auch Barbara Buchholz sind sich einig, dass sich die Comics ins Digitale verlagern werden: „Ich denke – hoffe –, dass der Trend zu Comics weiter aufwärts geht. Ich glaube, dass sich mehr ins Netz oder auf digitale Lesegeräte verlagern wird. Aber das haptische Erlebnis gedruckter Comics wird sicherlich wichtig bleiben“ – sagt sie.

    BirgitweyheIch hoffe, dass die Entwicklung weitergeht. Dass wir in Deutschland weiterhin gute neue Autoren entdecken. Und dass sich die Haltung gegenüber Comics weiter zum Positiven entwickelt. Viele Menschen waren in ihrem Leben noch nie in einem Comicladen und haben somit nicht erkannt, welch reichhaltiges Angebot es im Bereich der Neunten Kunst gibt. Denn das ist es, was Comics für mich sind: Kunst, in der unglaublich viel Arbeit und Leidenschaft steckt. Ich würde mir wünschen, dass die breite Öffentlichkeit das in den nächsten Jahren erkennt„. – ist Jakubowskis Wunsch.

    Ich gehe davon aus, dass es immer genug Leute geben wird, die Geschichten zeichnen wollen; es wird immer Verlage geben, die diese Geschichten veröffentlichen. Und es wird immer Menschen geben, die in Bildern erzählte Geschichten lesen wollen. Mit der Vielfalt, die Graphic Novel- und Comic-Verlage heute anbieten, können sie auch eine breite Leserschaft ansprechen, nicht nur Comic-Fans und Nerds. Der Erfolg von Liv Strömquist zeigt, dass es auch außerhalb der klassischen Comic-Leserschaft viele Menschen gibt, die einen Comic lesen, wenn das Thema und die Zeichnungen interessant genug sind„, meint Gasser vorsichtig.

    Und Platthaus schließt mit einem Blick auf die neue Generation: „Solange es eine neue Generation gibt, die Comics als Ausdrucksmittel sieht, mache ich mir keine Sorgen. Und ich sehe nichts, was ihr Wachstum bremsen könnte.

    Kurzum, für die deutschen Comics, vielleicht noch mehr als in anderen westlichen Ländern, scheinen diese Jahre des großen Wandels und der Transformation zu sein, in denen Risiken eingegangen und Herausforderungen bewältigt werden müssen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Produktion auf neue Genres ausdehnt und sich nicht nur national, sondern auch international verbreitet.

    Die Interviews wurden zwischen Januar und Februar 2023 geführt.

    Teilnehmer:

    Barbara Buchholz: hat Romanistik, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie studiert und lebt in Bonn. Seit 2002 schreibt sie über Comics, u.a. für das Bonner Stadtmagazin Schnüss, den Tagesspiegel, das Comicmagazin Strapazin und Deutschlandfunk Kultur. Sie ist Mitglied der Jury des Comicpreises der Berthold Leibinger Stiftung und Jurorin der Comic-Bestenliste.

    Dr. Alex Jakubowski: ist seit 1993 für die ARD tätig. Von 2004 bis 2009 war er TV-Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, seither ist er nach Frankfurt zurückgekehrt und arbeitet für ARD-aktuell.  Auf seinem mit dem Goldenen Blogger Award ausgezeichneten Blog berichtet er über Comics. Aufgewachsen mit Mickey Mouse und Spider-Man, wurden die Comics von Mœbius und Franquin zu seinen Favoriten. Wann immer es möglich ist, berichtet er als TV-Journalist über Comics und schreibt für tagesschau.de und hessenschau.de, in den Fachmagazinen Alfonz – Der Comicreporter und Reddition über Comics. Mit Don Rosa – I still get chills ‚ und ‚Die Kunst des Comic-Sammelns‘ hat er zwei Bücher zum Thema veröffentlicht. Außerdem ist er für den redaktionellen Teil der Gesamtausgabe von Karl – Der Spätlesereiter verantwortlich. Außerdem ist er Mitglied der Jury des Deutschen Cartoonpreises und einer dreißigköpfigen Kritikerjury, die vierteljährlich die besten deutschen Comics auswählt. Zudem moderiert er auch Comic-Veranstaltungen, etwa beim Comic-Salon Erlangen.

    Andreas Platthaus: Seit 1997 ist er Redakteur des Ressorts „Artikel“ der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Heute ist er für das Ressort Literatur und literarisches Leben zuständig. Seit 1998 hat er mehrere Bücher zur Geschichte und Ästhetik des Comics veröffentlicht. Zuletzt erschien die Biografie „Lyonel Feininger – Porträt seines Lebens“. 2017 ernannte ihn die Französische Republik zum Chevalier de l’ordre des arts et lettres für seine Verdienste um die Förderung des französischen Comics in Deutschland. Er ist Ehrenmitglied der Organisation der Illustratoren und der Deutschen Organisation der Anhänger des lauteren Donaldismus (D.O.N.A.L.D.), einer Organisation von Fans und Forschern der Donald-Duck-Comics und von Disney im Allgemeinen.

    Lars von Törne: Journalist, arbeitet seit 1997 für den Tagesspiegel. Hauptberuflich ist er im Ressort Story für die Schwerpunktthemen aus aller Welt zuständig und betreut die Comicseiten der Zeitung (www.tagesspiegel.de/comics). Er war Mitglied mehrerer Comic-Jurys, darunter der Max und Moritz Preis, das Berliner Comic-Stipendium und der Comic-Preis der Berthold Leibinger Stiftung. Außerdem ist er als Moderator und Kurator an zahlreichen Comic-Veranstaltungen beteiligt, u.a. am Internationalen Comicsalon Erlangen.

    Christian Gasser: Dozent an der Hochschule Luzern – Design Film Kunst, Journalist und freier Autor. Er ist Mitherausgeber des Comicmagazins STRAPAZIN und rezensiert Comics für verschiedene Medien wie die Neue Zürcher Zeitung, SRF2 Kultur und Deutschlandradio Kultur. Er ist Mitglied der Max-und-Moritz-Jury des internationalen Comic-Salon Erlangen. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählen der Roman „Rakkaus! (Finnisch: Liebe)“ und die Sachbücher „Comics Deluxe“ und „animation.ch„.

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